Wie Wasser 3.0 Mikroplastik den Kampf ansagt
2021 zeichnete die Zurich Gruppe Deutschland erstmals unter 100 Bewerbungen die vier vielversprechendsten Nachhaltigkeitsprojekte mit dem Planet Hero Award aus, darunter das gemeinnützige Green-Tech Unternehmen „Wasser 3.0“. Im Interview mit Gründerin und Chemikerin Dr. Katrin Schuhen und Silke Haubensak, verantwortlich für Kommunikation und Organisation, sprechen wir darüber, warum Mikroplastik so schädlich ist, welche innovativen Wege Wasser 3.0 geht, um es aus der Umwelt zu entfernen und außerdem darüber, wie es war, mitten in der ersten Pandemiewelle ein eigenes Start-up zu gründen.
Hallo ihr beiden. Schön, dass ihr da seid! 2020 habt ihr ein Start-up gegründet, das als gemeinnützige Organisation Industrien und Kommunen hilft, Mikroplastik aus dem Wasser zu entfernen. Wie kam es zur Idee von Wasser 3.0?
Katrin: Das war tatsächlich eine längere Entwicklung. Bereits während meiner Promotion hatte ich mir die Frage gestellt, ob Hybridkieselgele – mein Promotionsthema – für die Entfernung von Mikroschadstoffen und Mikroplastik aus Wasser geeignet sein könnten. Nach meiner Promotion habe ich dann als Chemikerin in der Kunststoffindustrie gearbeitet und mich mit der Fragestellung beschäftigt, wie man die Kunststoffherstellung und -verarbeitung umweltfreundlicher gestalten könnte. 2012 bekam ich mit einer Stelle als Juniorprofessorin für organische und ökologische Chemie dann die Gelegenheit, meine Idee mit den Hybridkieselgelen aufzugreifen. Ich hatte eine Vision von einem sinnstiftenden Thema, das Mehrwert für Menschen und Umwelt bringen soll. Als meine Juniorprofessur 2018 endete, wusste ich durch meine Forschungsergebnisse, dass Hybridkieselgele sich tatsächlich sehr gut dazu eignen, Mikroplastik und Mikroschadstoffe aus Wasser zu entfernen. Es dauerte ein weiteres Jahr der intensiven Auseinandersetzung, bis ich mich letztendlich dazu entschloss, meine Forschung im Rahmen einer gemeinnützigen GmbH weiterzuführen. Unser Name stammt übrigens daher, dass wir mit drei chemischen Konzepten basierend auf den Prinzipien der Green Chemistry arbeiten um anorganische, organische und Mikroplastik-Verunreinigungen aus Wässern zu entfernen. Das Ziel ist immer, null Schadstoffe im Wasser zu erreichen. Und so gründete ich im Mai 2020 Wasser 3.0. Ich hatte da bereits ein kleines Team an Menschen an meiner Seite, mit denen ich schon länger zusammengearbeitet hatte.
Zu dieser Zeit steckte Deutschland in seinem ersten Lockdown. Wie war das für euch?
Silke: Corona hat auch für uns vieles erschwert, vieles aber auch vereinfacht. Bürokratisch waren die Hürden noch höher, als sie auch sonst für Start-ups sind, weil die Ämter sehr schwer erreichbar waren. Projekte in Kooperation mit anderen Unternehmen und Institutionen gingen und gehen verzögert an den Start und Abstimmungen dauern zum Teil sehr lange. Auch das Wegfallen oder virtuelle Umsetzen von Veranstaltungen, in denen das Netzwerken eine große, wenn nicht gar die entscheidende Rolle spielt, ist sehr schade, wenn es darum geht, sich als neue ‚Spielerin‘ auf dem Platz zu präsentieren und sichtbar zu werden. Als Team haben wir auch schon vor Corona remote gearbeitet. Dass dies nun zum anerkannten und gewohnten „Modus Operandi“ für viele geworden ist, hat uns durch das Wegfallen von Reisezeiten einiges an zeitlichen Druck genommen und wir konnten de facto mehr Termine wahrnehmen als möglich gewesen wäre, hätte wir jedes Mal physisch anwesend sein müssen. Unser großer Vorteil ist, dass wir schon zu Zeiten universitärer Forschung sparsam im Umgang mit Ressourcen waren. Da wir mit enorm viel Ehrgeiz, hoher Eigenmotivation und tiefer Überzeugung unterwegs sind, starten wir neue Projekte auch mit wenig finanziellen Mitteln.
Wieso wolltet ihr kein privatwirtschaftliches Start-up werden?
Katrin: Am Ende meiner Juniorprofessur hatte ich Forschungsergebnisse erzielt, die zeigten, dass wir ein einfaches, nachhaltiges und kostengünstiges Verfahren in der Hand haben, das einen wichtigen Beitrag gegen die weltweite Wasserverschmutzung leisten kann. Das ist eine sehr hohe Motivation – und auch Verantwortung. Wasser 3.0 als gemeinnützige GmbH zu gründen war die logische Konsequenz. Diese Unternehmensform ermöglicht uns den Fokus auf die Forschung zu setzen und unsere Arbeit am Gemeinwohl auszurichten. Gemeinnützige GmbH bedeutet, dass wir mit unternehmerischem Geist forschen, entwickeln und handeln, aber unsere Gewinne unmittelbar in weitere Forschungs- und Bildungsprojekte in den Bereichen Mikroplastik und Abwasser reinvestieren. Derzeit wird unsere Arbeit hauptsächlich durch Spenden, Sponsoring und Projektförderungen ermöglicht.
Was ist Mikroplastik genau?
Silke: Mikroplastik sind Kunststoffpartikel, die kleiner als 5 Millimeter sind. Sie gelangen auf verschiedensten Wegen in die Umwelt. Zum Beispiel beim Waschen: Synthetische Fasern lösen sich von der Kleidung und kommen dann über das Abwasser in Flüsse, Seen oder Bäche. Auch der Abrieb von Autoreifen verursacht Mikroplastik. Ebenso wie unsachgemäß entsorgter Plastikmüll, der langsam zu kleinsten Partikeln zerfällt oder die kleinen Kügelchen, sogenannte Microbeads, die als Zusätze zu Kosmetika oder Wasch- und Reinigungsmitteln enthalten sind. Auch industrielle Abwässer gehören zu den großen Eintragsquellen von Mikroplastik in die Umwelt. Mikroplastik ist oft mit bloßem Auge nicht sichtbar, lässt sich aber mittlerweile in Luft, Erde und Wasser nachweisen, weltweit.
Ihr sagt, dass Mikroplastik ein Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier darstellt. Warum und was können wir dagegen unternehmen?
Katrin: Noch kennen wir die gesundheitlichen Folgen, die Mikroplastik für uns hat, nicht umfassend. Jedoch wurde bereits erforscht, dass Nanopartikel klein genug sind, um die Blut-Hirn-Schranke im tierischen Organismus zu durchdringen und dort zu Nervenschädigungen führen kann. Mikroplastik ist vor allem auch deshalb so gefährlich für Mensch und Tier, weil es als Transportvektor für gefährliche und giftige Stoffe, sogenannte Mikroschadstoffe, fungiert. Weil Mikroplastik schon von kleinsten Lebewesen aufgenommen wird, ist es Teil unserer Nahrungskette. Mikroplastik ist ein riesiges Problemfeld für uns, andere Lebewesen und das Gleichgewicht unserer Ökosysteme. Dadurch, dass die Thematik so komplex ist und es vielfältige Verursacherquellen und Verteilungspfade gibt, erschwert dies ein systematisches Vorgehen, um die Mengen an Mikroplastik in unserer Umwelt zukünftig zu verringern und zu vermeiden. Lösungen sind vorhanden, werden aber bislang nur vereinzelt eingesetzt. Aktuell fehlen vor allem die gesetzliche Regulation und Grenzwerte. Aber auf europäischer Ebenen und auch international kommt langsam, aber sicher Bewegung in die Sache.
Wie funktioniert eure Lösung für Wasser ohne Mikroplastik und Mikroschadstoffe?
Katrin: Unser Verfahren funktioniert nach dem Prinzip von Clump & Skim also Verklumpen & Abschöpfen. Gesundheitlich völlig unbedenkliche Hybridkieselgele werden dem verschmutzten Wasser in einem einfachen Verfahren zugegeben. Durch Umrühren verklumpen die Hybridkieselgele mit dem Mikroplastik und eventuell vorhandener Mikroschadstoffe zu popcornartigen Agglomeraten. Diese schwimmen an die Wasseroberfläche und werden dort filterfrei mit einem Skimmer, also einer Art Sieb, abgetrennt. Die Anpassungsfähigkeit der Hybridkieselgele ist der Schlüssel zum Erfolg unseres Verfahrens. Durch ihre individuelle Adaption schaffen wir passgenaue Lösungen für unterschiedlichste Belastungsarten und Wasserzusammensetzungen. Unsere Entfernungsraten für Mikroplastik liegen reproduzierbar bei über 95 %, die für Mikroschadstoffe bei über 80%. Das Verfahren erweist sich daher nicht nur in kommunalem Abwasser, sondern auch in industriellen Prozessen, Oberflächengewässern und Meerwasser-nutzenden Systemen, wie zum Beispiel der Meerwasserentsalzung oder der Meersalzgewinnung, als nützliche Anwendung. Doch, bevor es ans Entfernen geht, sollte man unbedingt wissen, wie viel Mikroplastik das Wasser beinhaltet. Dazu machen wir das Mikroplastik mit Fluoreszenzmarkern sichtbar. Das sind kleine chemische Moleküle, die in der Lage sind, mit den Mikroplastikpartikeln zu interagieren und diese zum Leuchten bringen. Diese leuchtenden Partikel kann man unter einem Mikroskop auszählen. Das macht bei uns eine Software. Der für uns krönende Abschluss ist, dass wir die sogenannten Agglomerate, nachdem wir sie aus dem Wasser entfernt haben, wiederverwerten können. Mit einem solchen kreislaufwirtschaftlichen Ansatz für Kunststoffe hat sich vor uns noch nie jemand beschäftigt. Aktuell rücken hier Baumaterialien, z. B. bei der Zementherstellung in den Fokus.
Wo setzt ihr eure Lösungen für Wasser ohne Mikroplastik und Mikroschadstoffe bereits in die Praxis um?
Katrin: Aktuell setzen wir unser Verfahren in einem zwölfmonatigen Langzeitversuch in der kommunalen Kläranlage Landau-Mörlheim ein. Wasser 3.0 PE-X® ist ein innovatives Verfahren für die simultane Entfernung unterschiedlichster Schadstoffklassen, zu denen Medikamente, deren Abbauprodukte, aber auch Pestizide, Schwermetalle und Exoten wie zum Beispiel PFAS zählen. Im Rahmen dieser Langzeitstudie soll herausgefunden werden, wie das Verfahren nicht nur effektiv in der kommunalen Abwasserreinigung eingesetzt werden und wie eine 4. Reinigungsstufe damit wirtschaftlich, ökologisch und gesellschaftstauglich aussehen kann, sondern auch, wie Kläranlagen zukünftige Herausforderungen durch immer komplexeren Schadstofffrachten meistern können. Mit der erstmalig gezielten Mikroplastik-Detektion und gleichzeitigen Entfernung von Mikroschadstoffen und Mikroplastik stellt dieses Projekt ein Novum in der Abwasserreinigung dar. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist es, zu verhindern, dass überhaupt so viel Mikroplastik und Mikroschadstoffe in den Wasserkreislauf gelangen und in kommunalen Kläranlagen aus dem Abwasser entfernt werden müssen. Wir arbeiten daher momentan in Leuchtturm-Projekten in unterschiedlichen Industrien, die mikroplastik-belastete Prozess- und Abwässer aufweisen. Darüber hinaus adaptieren wir in verschiedenen Machbarkeitsstudien unser Verfahren Wasser 3.0 PE-X®, evaluieren unser Detektionsverfahren und Möglichkeiten der Weiterverwendung der vermeintlichen Abfallprodukte.
Silke: Parallel zu den wissenschaftlichen und technologischen Fragestellungen arbeiten wir an unserem digital-realen Bildungsraum WASoMi (WASoMI steht unter anderem für Wasser ohne Mikroplastik). Wir kombinieren hier unsere Expertisen in Sachen Polymere, Kunststoffe, Mikroplastik und Plastik und machen unser Wissen alters- und ortsunabhängig öffentlich zugänglich. Bildung anders zu denken als reine Wissensvermittlung ist dabei unser Ansatz. Unser Ziel ist es, Aha-Momente zu kreieren, indem wir unsere Themen kreativ, wirkungsorientiert und mit Bezug zu unserem Alltag aufbereiten.
Wie hilft euch der Planet Hero Award dabei, eure Mission weiterzuführen?
Silke: Das Fördergeld ist uns eine große Hilfe, das wir vor allem für unsere Bildungs- und Aufklärungsarbeit zum Thema Mikroplastik einsetzen. Gleichzeitig freuen wir uns, mit unserem Vorstandspaten, Björn Bohnhoff, einen Sparringspartner gefunden zu haben, der uns bei unseren nächsten Planungsschritten unterstützt. Demnächst besucht Björn uns sogar in Landau auf der Kläranlage, um sich unsere Arbeit aus nächster Nähe anzuschauen.
Habt ihr zum Abschluss noch einen Tipp für unsere Leser, wie man selbst Mikroplastik in Shampoos oder Kosmetika erkennt?
Katrin: Ja, schaut bei der Inhaltsangabe eurer Shampoos und Duschgels immer nach dem Begriff „Poly“. Überall, wo Poly steht, ist auch Polymer drin. Polymere sind dabei nicht nur Mikroplastik. Das können auch lösliche Polymere sein, die auch enthalten sein können, wenn vorne auf der Verpackung „mikroplastik-frei“ steht. Lösliche Polymere zählen nämlich per Definition nicht als Mikroplastik (das sind feste Partikel), sondern als Mikroschadstoffe. Für unsere Umwelt und Gesundheit sind sie nicht weniger gefährlich als Mikroplastik.
Von mir gibt es auch 5 Sterne;)
Alles Liebe
Luke